Satire

//17/12/14

Ich habe mir kürzlich die Diskussion zwischen Andreas Thiel (Schweizer Satiriker) und Roger Schwaniski (Schweizer Radio/Fernsehmoderator) angeschaut. Die Diskussion war geprägt von (zT. persönlichen) Anfeindungen, einseitigen Monologen und leider sehr wenig eigentlichem Diskurs. Nichtsdestotrotz ist das Video zu empfehlen. Denn die beiden Gesprächsführer widerspiegelen zwei sehr zentrale und gegensätzliche Standpunkte in der Diskussion um Religionen (und sicherlich auch anderen Themen): Einerseits das Beharren auf der Wahrheit als höchstes Gut (Thiel), das keine Rücksicht nimmt auf irgendwelche Emotionen, Traditionen, Sitten, etc. Andererseits die utilitaristische Sicht (Schawinski), welche den Nutzen für die Gesellschaft in den Vordergrund stellt und dabei die Diskursion der Frage unterordnet: was gewinnt die Gesellschaft davon. Ich stehe ein für letzteren Standpunkt - manchmal kann das Verschweigen/Beschönigen einer Tatsache das geringere Übel sein.

Thiel's Aussagen (ich beziehe mich an dieser Stelle nur auf jene in der Sendung) sind in keinster Weise neu. Die Kritik am Koran, zur Gewalt gegen andere Religionen aufzurufen sind Religionsinteressierten hinlänglich bekannt. Würde es Thiel um die reine Vermittlung von Wahrheit gehen, müsste man ihm Redundanz vorwerfen. Dies kann kaum der Zweck der genannten Aussagen sein. Geht es ihm um eine Erleuchtung, oder besser formuliert; will er einen Sinneswandel bewirken? Falls dem so ist, stellt sich die Frage bei wem: bei den Mitgliedern des Islams oder bei allen anderen? Bei allen anderen wird seine Kritik sicherlich aufgenommen und mag im besten Fall die kritische Auseinandersetzung mit Religionen im Allgemeinen förderen, im schlimmsten Fall wird seine Kritik die Islamophobie bestärken - um das Spektrum der Reaktionen abzustecken. Wie sieht es bei den Mitgliedern des Islams aus? Am einen Extrem der möglichen Reaktionen haben wir den Sinneswandel, die Abkehr von der eigenen Religion, auf der anderen Seite die Entstehung von Hass gegen Thiel und anderen Islamkritikern, im weiteren Sinne eine Bestärkung jeglicher Gefühle, welche Thiel kritisiert.

Welches sind nun die wahrscheinlichen Reaktionen innerhalb dieses Spektrums? Die kritische Auseinandersetung mit Religionen ist meines Erachtens sicherlich eine Folge innerhalb der Nichtmiglieder des Islams - und dies ist Thiel zu Gute zu halten. Bei den Mitgliedern andererseits ist bei den gemässigten Anhängern wohl am ehesten eine Resignation wahrscheinlich, in Anbetracht der Tatsache, dass die Akzeptanz weiter sinken und die Vorurteile gegenüber der eigenen Religion weiter steigen werden. Bei den fundamentalistischen Anhängern hingegen ist am ehesten eine reaktionäre Haltung zu erwarten, welche sich in Protesten oder Gewaltübergriffen äussern kann. Insofern bewirken Thiels Aussagen bei diesen Mitgliedern des Islams genau das Gegenteil von dem was er bestenfalls beabsichtigt haben könnte: Zu einer Aufklärung innerhalb dieser Mitgliedern des Islams zu führen.

War hingegen seine blosse Absicht die Provokation, so hat er wohl sein Ziel erreicht, dies aber nicht auf unproblematischem Wege. Ein Satiriker bewegt sich meines Erachtens nicht im Vakuum. Die Frage ob ein Satiriker frei ist von jeglichen gesellschaftlichen Verpflichtungen (und die sogenannte Narrenfreiheit geniesst) ist mA. zu verneinen - er muss für die Folgen seiner Aussagen/Handlungen Rechenschaft ablegen (insbesondere für Folgewirkungen auf Dritte - Achtung: Eine rechtliche Verantwortung ist nicht gemeint, gemeint ist bspw. das Eingeständnis, dass man Ursache für Unruhen in der Bevölkerung ist). Das blosse Äussern von Tatsachen (der Koran fordert zu Gewaltbereitschaft auf) darf nicht als gegenstandslos abgewertet werden, wenn diese Aussage andere Mitglieder der Gesellschaft in irgendeiner Form kränkt.

Auch die sogenannte Wahrheit kann beleidigend sein, denn wir sind als Menschen in unserer Wahrnehmung nicht frei. Einerseits geben unsere Sinne uns vor, welche Eigenschaften/Wellenlängen/Aspekte der Umwelt wir wahrnehmen und erhalten somit bereits a priori kein umfassendes, wahrheitsgemässes Bild der Umwelt. Diese Einschränkung allein wäre kein Problem, weil sie relativ einheitlich in der ganzen Menschheit vorkommt (Blinde, Taube, etc. ausgenommen). Nun sind wir aber leider nicht nur in unseren primären Sinnesorganen seit Geburt an voreingenommen, wir werden auch in unserer Kindheit von früh an indoktriniert. Man mag nun argumentieren, dass jeder über einen freien Willen besitzt und sich (gegeben eines entsprechenden Zugangs zu Informationen) über alles und jeden seine eigene Meinung bilden kann. Nur ist dies leider ein idealisiertes Menschenbild. In Abwesenheit von wissenschaftlichen Beweisen (welche ich nicht recherchiert habe, aber die meiner Meinung nach existieren müssten / existieren werden), wage ich zu behaupten, dass durch diese Indoktrination in den frühen Kindesjahren die Wahrnehmung eines Menschen weiter deutlich eingeschränkt wird. Und zwar wird sie eingeschränkt bis zu dem Punkt, wo für die Mehrheit der Menschen im Bezug auf viele Themen keine freie Meinungsbildung erwartet werden kann. Es wäre unmenschlich von allen Menschen zu erwarten, dass sie die Weltbilder ihrer Erzeuger (dh. ihrer Eltern) oder ihres gesellschatlichen Umfeldes hinterfragen. In diesem Sinne müssen die meisten Menschen vor Tatsachen / der Wahrheit nicht in den Schutz genommen werden, aber sie sollte nur in wohlüberlegten Dosen verabreicht werden.

Mir ist klar, dass diese Aussagen gefährliche nahe an den Relativismus führen. Dies soll nicht ein Plädoyer für Relativismus und Beliebigkeit sein. Im Gegenteil. Viel eher sind jene Mitglieder der Gesellschaft, welche über das Wissen der sogenannten "Wahrheit" verfügen, dazu verpflichtet behutsam mit ihr umzugehen. Die Mittel der Logik und des deduktiven wie induktiven Denkens dürfen nicht vorbehaltslos bei allen Menschen voraussgesetzt werden. Satiriker wie Thiel vergessen dabei oftmals eine einfache Tatsache: Für Menschen, welche die Logik und das deduktive Denken rigoros anzuwenden wissen ist die Satire oftmals überflüssig (da sie nur wohl Bekanntes überspitzt wiedergibt) andererseits ist sie für Menschen welche nicht über diese Mittel verfügen, gar nicht erst zugänglich und kann höchstens zu Missmut führen.

Somit stellt sich schlussendlich die Frage nach dem Publikum eines Satirikers. Ist das Publikum klein und kennt der Satiriker dessen Zusammensetzung, so kann er getrost seine Aussagen machen ohne dabei die eingangs erwähnte, utilitaristische Sichtweise zu verletzen. Thiel hat aber durch seine öffentlichen Aussagen in der Weltwoche die Frage nach dem Publikum vorweggenommen und sich an alle Menschen gerichtet und damit gegen das utilitaristische Grundprinzip verstossen. Schlussendlich ist der Schaden in der Gesellschaft bei jenen grösser, welche Satiriker nicht verstehen, als solche die von einer (wieder-)belebten Debatte um Religionen profitieren.